Leon: Wolfgang, du als Regisseur
dieser Produktion - wie bist du auf die Idee gekommen, auf der
Grundlage des Orpheusmythos ein Theaterstück zu machen?
Wolfgang: Also der Vorschlag kam von
Peter. Ich hab früher schon Mythen bearbeitet, Medea oder
Gilgamesch, und verschiedenste Stoffe aus der Antike haben mich
immer schon interessiert, Orpheus finde ich insofern interessant,
als das es vom Scheitern handelt, weil sich im Grunde genommen die
große Liebe nicht einlöst. Wie der Mythos ja erzählt, darf
Orpheus Eurydike, nachdem sie verstorben ist, aus dem Hades wieder
mit ins Leben nehmen, aber mit der Einschränkung, er dürfe sich auf
dem Weg nach oben nicht umdrehen. Das tut er, und dieser Aspekt hat
mich immer sehr fasziniert und interessiert, ich unterstelle dem
Orpheus da ja eine willentliche Entscheidung, das heißt er hat es
bewusst gemacht, um das Scheitern seiner großen Liebe nicht
erleben zu müssen und als Musiker, der von diesem Liebesverlust
getragen wird, in der Lage ist, richtig tolle Musik zu machen.
Leon: Zum wievielten mal arbeitest du
mit einem Choreographen zusammen?
Wolfgang: Das hat es
schon immer gegeben, früh in den 90er unter anderem mit der
japanischen Tänzerin Sumako Koseki und
mit der holländischen Tänzerin Zwaantje de Vries, die für
Commedia Futura an Crossover-Projekten gearbeitet haben. Aber mit
Felix Landerer ist es das dritte gemeinsame Projekt.
Leon: Was gefällt dir
als Regisseur am meisten an der Zusammenarbeit von Tänzern und
Schauspielern? Was macht den Reiz aus?
Wolfgang: Für mich
besteht der Reiz darin, dass die Tänzer bereit sind viel abstrakter
und ohne große Bedingungen die verschiedensten Momente einer
Situation zu durchlaufen. Ihre hohe körperliche Präzision reizt
mich sehr, und dementsprechend schön, ist der Bewegungsduktus der
Spieler, die ein ganz anderes Körperrepertoire haben. Vieles, was
der Körper des Tänzers ausdrücken kann, macht der Schauspieler
über Sprache, und ich finde das führt zu einer sehr schönen
Reibung und ergänzt sich sehr gut. Der tanzende Schauspieler ist
genau so gefragt wie der sprechende Tänzer.
Leon: Also möchtest du,
dass man die Kontraste zwischen körperlichen Ausdruck und Sprache
erfahren kann?
Wolfgang: Einerseits ja,
aber ich finde es auch sehr interessant, dass in einem Raum beide
Formen gleichwertig sind, obwohl sie verschiedene Qualitäten
haben. Ich finde es wichtig, dass der Tänzer schauspielerische
Tätigkeiten übernimmt und der Schauspieler tänzerische
Tätigkeiten übernimmt. Ich trenne das gar nicht so sehr und die
eine Szene, die wir momentan bearbeiten, ist ja auch eine Melange,
damit jeder seine Qualitäten einbringen kann.
Leon: Was nimmst du
persönlich aus dem Mythos für dich mit?
Wolfgang: Natürlich
hinterfrage ich meine eigene Beziehung und mein Leben, messe das was
ich erlebt habe, an dem Mythos und schaue, was es für
Orpheus-Momente in meinem Leben gegeben hat. Wo habe ich
zurückgeblickt und die Beziehung verloren, wo war ich
vorausschauend genug. Ich denke, dass Liebe, Tod und Beziehung in
jedem Theaterstück integriert und thematisiert werden und mein
bescheiden-subjektives Leben misst sich natürlich an diesen großen
Mythos.
Leon: Wie würdest du die
Rolle der Eurydike beschreiben, die im Mythos eher eine Nebenrolle
hat?
Wolfgang: Ich würde
sagen, dass sie gleichgestellt ist mit Orpheus, denn es ist eine
Paarbeziehung und dazu gehören immer zwei Personen, die Geliebte
und der Geliebte. Es ist wichtig, dass sich beide auf Augenhöhe
begegnen und deswegen ist Eurydike in meinen Augen eminent wichtig.
Wie wäre es geworden, wenn es Orpheus gelungen wäre, sie an die
Oberfläche, in das Leben zu tragen? Wäre er mit seiner großen
Liebe durchgekommen oder wäre er gescheitert. Wie hätte sich das
vertragen mit dem Anspruch Künstler zu sein? Also das Thema
Alltagsbewältigung ist für Beziehungen ein ganz großes Thema -
wie weit trägt dann die Liebe? Eurydike spielt dabei nie eine
Nebenrolle, sondern hat die Möglichkeit, alle ihre Facetten
auszuspielen. Ihren Zorn, Liebe, Frust, ihr Glücklichsein und ihr
Scheitern, alles ist da möglich.
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